Von Gabriele Bihl | 17.05.2021
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Ich kenne Ralf aus meiner Zeit in Auroville, wo ich mehrere Monate gelebt und gearbeitet habe. Auroville ist eine internationale Stadt und liegt in Südindien, ca. 150 km südlich von Chennai (früher Madras). Gegründet wurde Auroville vor ungefähr 50 Jahren von der Französin Mirra Alfassa. Die heutigen 2.500 Einwohner kommen aus 59 Nationen, aus allen Altersklassen, sozialen Schichten und Kulturen und repräsentieren somit die Menschheit als Ganzes. Auroville begann als Experiment und hat die Vision die Menschheit in ihrer Vielfalt zu vereinen. Die Projektstadt wird sowohl von der Indischen Regierung als auch von der Unesco unterstützt.
Über Ralf
Ralf ist Deutscher, von Beruf Grafikdesigner und kam 2015 über eine schweizerische Entwicklungshilfe Organisation für ein paar Wochen nach Indien. Anschließend wollte er sich die Projektstadt Auroville, die fast in jedem Reiseführer zu finden ist, eigentlich nur einmal anschauen. Mit den Aurovilianern kam er schnell ins Gespräch und da Grafikdesigner fast überall auf der Welt gebraucht werden, bekam er schon nach ein paar Tagen Aufenthalt ein Jobangebot. Das war der Start in einen neuen Lebensabschnitt. Zurück in seiner Wahlheimat Schweiz kündigte er kurzentschlossen seine Arbeit, löste seinen Hausstand auf und landete 9 Monate später, nachdem alle Formalitäten geregelt waren, mit einem Rucksack und zwei Koffern wieder auf indischem Boden.
Ich bin nach Auroville gekommen, weil hier eine Aufgabe auch mich gewartet hat.
Auf meine Frage, ob er vor hatte für immer (sofern es ein „für immer“ überhaupt gibt) in Indien zu bleiben, kam die prompte Antwort: „Wenn ich etwas mache, dann mache ich es zu 100 %, das gilt bei mir in allen Lebensbereichen. Ich bin auch nicht in erster Linie wegen den interessanten Menschen oder wegen der Lage am Indischen Ozean nach Auroville gekommen, sondern weil hier eine Aufgabe auch mich gewartet hat.“
Auroville
Und dann erzählt er mir von seinen Erfahrungen, die wie überall in der Welt mal angenehm und auch mal weniger angenehm waren. Besonders herausfordernd war das Klima mit Hitzeperioden von bis zu 45 Grad, bei denen es auch nachts nicht mehr genügend abkühlt oder die Zeit des Monsuns, in der es wochenlang regnet und die Luftfeuchtigkeit so hoch ist, dass die Wäsche nicht mehr trocknet und Bücher im Regal aufquellen. Gefallen hat ihm das naturnahe Leben im dicht bewaldeten Dorf mit Vogelgezwitscher überall und ganzjährig Blüten und Blumen. Da die ca. 2.500 Aurovilianer ein ziemlich großes Areal zur Verfügung haben, gibt es zwischen den Siedlungen auch große Abstände.
„Man kann sich das ganze wie eine überdimensionale Schrebergartenanlage mit städtischen Elementen vorstellen“, sagt Ralf, „mit viel Natur und Tieren dazwischen: Hunde, Schlangen, Ziegen und natürlich die in Indien allgegenwärtigen und frei laufenden Kühe. Mit den kleineren Lebewesen teilt man sich dann die Wohnung. Nachts kann es dann auch richtig laut werden, wenn die wilden Hunde rudelweise zu heulen beginnen.“
Beeindruckt hat ihn vor allem der Matrimandir, ein riesiges Meditationszentrum in Form einer goldenen Kugel, das, neben dem großen Banyan-Baum, das Zentrum von Auroville darstellt. Auf meine Frage, was er in den drei Jahren, die er jetzt in Indien lebt, vermisst hat, kam erstaunlich wenig. „Vielleicht eine deftige bayerische Brotzeit oder mal wieder selber Auto fahren und natürlich die Freunde und die Familie aus der Heimat, ansonsten nicht viel.“
Wenn du einmal am anderen Ende der Welt neue Freunde gefunden hast, gibt es dir das Vertrauen, dass es überall möglich ist und du überall hingehen kannst.
Und doch hält es ihn nicht weiter dort. Es wartet eine neue Aufgabe in Europa, wo ein ähnliches Projekt im Entstehen ist. „Was mich daran reizt, ist von Anfang an gestaltend dabei sein zu können“. Die Vorbereitungen für die Rückkehr sind bereits im Gange. „In Gedanken bin ich schon gar nicht mehr richtig hier“ sagt er. Die Zeit zwischen dem Entschluss, sein Leben in einen neue Richtung zu lenken und der tatsächlichen Umsetzung beschreibt Ralf so: „Es ist, als ob man auf dem Bahnhof auf einen Zug wartet. Du verlässt den Bahnhof nicht mehr, weil der Zug ja bald kommt, bist noch am alten Ort, aber mit den Gedanken schon am neuen.“ Auf meine abschließende Frage, was er aus Auroville vermissen wird antwortet er: „Die Freunde, die ich hier gefunden habe. Aber wenn du einmal am anderen Ende der Welt neue Freunde gefunden hast, gibt es dir das Vertrauen, dass es überall möglich ist und du überall hingehen kannst."
Das Interview wurde am 26.04.21 online geführt.
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